Dr. Jan B. Krauß
Partner - Patentanwalt
4.7.2024
 • 
Artikel

4 Monate Einheitliches Patentgericht (UPC) – „Business as usual“ oder „Alles anders“?

Nach jahrelangem Warten und dem Ablauf der „sunrise period“ hatte das UPC zum 1. Juni 2023 seine Tätigkeit aufgenommen. Zeit vielleicht, sich das bisherige System bei Tageslicht anzusehen.

Vorab; das UPC hat das System der Patentstreitigkeiten oder Invalidierungen von Patenten in Europa bisher nicht grundlegend auf den Kopf gestellt. Trotz laufend „neusten Nachrichten“ von beteiligten Kreisen, große Aufreger sind wenige zu finden. Das ist sicherlich zu begrüßen und liegt ganz bestimmt auch und besonders an der Sorgfalt und Besonnenheit der beteiligten Richterschaft, insbesondere von Klaus Grabinski, dem Präsidenten des Gerichts.

Geklärt auch der dritte Zentralstandort des UPC, neben Paris und München wird es wohl ab 2024 in Mailand eine Kammer geben, die sich mit München u.a. die Fälle aus Pharma und Life Sciences teilen soll.

Wie im holländischen und Schweizer Gerichtsverfahren finden sich auch im UPC technische Richter, die zum Teil aus der Anwaltschaft, Firmen oder Patentämtern oder -gerichten rekrutiert werden sollten. Die etwa 50 technischen Richter ergänzen die etwa 35 juristisch qualifizierten Richter des Systems. Nach einer lebhaften Diskussion über mögliche Konflikte bei den technischen Richtern haben einige derselben ihre Ämter vorab niedergelegt, gleichzeitig wurde die Berufsordnung im Mai 2023 noch einmal nachgebessert. Hier wird es sicherlich noch weitere zukünftige Aufreger geben.

Schon nach der kurzen Zeit der Tätigkeitsaufnahme lässt sich sagen, dass das UP-System stark durch den deutschen Einfluss geprägt wird. Über 40% der registrierten Vertreter stammen aus Deutschland, und bisher haben etwa 75% der anhängigen Fälle einen Bezug zu Deutschland, sei es als Gerichtsstand, Vertreter und/oder Partei. In Anbetracht der klassisch hohen Zahl an deutschen Streitfällen, dem Markt und dem Ausstieg der Briten sowie nach Änderung der Zuteilung der Patentklassen ist dies nicht wirklich verwunderlich, aber die Deutlichkeit der Dominanz ist dann doch bemerkenswert.

Soweit aus der etwas sperrig zu bedienenden Datenbank des UPC ersichtlich, sind 38 Verletzungsprozesse, 16 Nichtigkeitsklagen, 4 einstweilige Verfügungen und 1 Beweissicherungsverfahren anhängig (Stand Anfang Oktober 2023). Anders als erwartet, sind die technischen Gebiete der Klagen nicht auf bestimmte Bereiche beschränkt, es findet sich auch eine recht große Zahl von Fällen aus Pharma und Life Sciences. Bisher ist auch noch kein Fall eines „Patenttrolls“ bekannt geworden, es gibt eine SEP-Kampagne (Panasonic) und einen Vergleich (Ocado vs. AutoStore).

Aus den bisher behandelten bzw. entschiedenen Fällen lässt sich sicherlich noch kein „established case law“ ableiten. Nicht unerwartet finden sich erwähnenswerte Entscheidungen im Bereich der Formalien, nicht unerwartet nach dem holprigen An- und Ablauf des „case management system“ (CMS), dem eine zentrale Aufgabe im System zukommt.

Zunächst ging es in mehreren Fällen um die Zuständigkeit der Kammern, dabei ist die erste IPC-Klasse maßgebend. Das Gericht hatte zudem zu klären, was die Effekte einer ggf. „vorläufigen“ und unvollständigen Einreichung in Papierform bei Nichtfunktionieren des CMS auf das Timing von Fällen und die Zuständigkeit der Gerichte waren (ORD_560432/2023). Auch die Zulässigkeit einer solchen Klage wurde behandelt.

Wichtig auch die Beurteilung des rechtlichen Interesses bei gewünschter Einsicht in die Akten (verneint, ORD_550152/2023, ORD_552745/2023). Auch eine Fristverlängerung wurde zurückgewiesen, was auf ein zügiges Verfahren schließen lässt (ORD_560542/2023).

Zudem wurden einige einstweilige Verfügungen verhandelt, die teils erlassen (ACT_459746/2023, München) und teils zurückgewiesen (in Wien, 14. September 2023) wurden. Im Wiener Fall wurde zudem festgestellt, dass es nach Beginn eines Verfahrens vor dem UPC, wie auch einer einstweiligen Verfügung, kein „Entrinnen“ mehr durch den Versuch eines Opt-out gibt.

In der Hauptsache wurden nur sehr wenige Fälle verhandelt. Dabei ist „der“ Fall in Helsinki zu erwähnen, bei dem der ansonsten das nationale europäische Gewinnen gewöhnte Patentinhaber AIM Sport Vision vor der Kammer des UPC verlor. Das Gericht war der Meinung, dass die nationale frühere Durchsetzung eines Patentes, selbst vor dem Beginn des UPC, den nachträglichen Widerruf eines Opt-out blockiert (ORD_551054/2023 und 545571/2023). Die Klage wurde abgewiesen.

Was lässt sich nun aber aus den obigen Verfahren für die Praxis ableiten? Zumindest wohl folgendes:

  • Das UP-System ist bisher durch den deutschen Einfluss stark geprägt, was Deutschland als „Venue“ noch attraktiver macht;  
  • Das Verfahren ist gegenüber dem nationalen Verfahren auf mehr Schnelligkeit ausgelegt;
  • Sehr wichtig ist das sorgsame Timing zwischen nationalem Patent, europäischem Bündel und Einheitspatent und zwar nicht nur im Falle der unmittelbaren Durchsetzung;
  • Wer bisher sein IP noch nicht durchgesetzt hatte, ist mit dem Opt-out und einer bisherigen leichten Zurückhaltung strategisch offensichtlich grundsätzlich gut beraten gewesen.
    Sie haben Fragen zum Artikel oder zum UPC? Zögern Sie nicht uns anzusprechen.